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Für eine Politik der Hoffnung

Das Institut Solidarische Moderne setzt der Politik der Angst einen demokratischen Neubeginn entgegen

Die Welt ist aus den Fugen, die soziale und ökologische Vielfachkrise verschärft sich. Sichtbarste Zeichen dafür sind die aktuellen globalen Geflüchtetenbewegungen. Am Umgang mit ihnen können wir nicht zuletzt die Zivilität unseres Gemeinwesens ablesen. Umso erschreckender ist, dass an jedem dritten Tag des vergangenen Jahres ein Brandanschlag auf eine Unterkunft für Geflüchtete verübt wurde. Während Wahl um Wahl Rechtspopulist*innen und Rechtsextreme in die Parlamente einziehen, weiß die parlamentarische "Mitte" nichts Besseres zu tun, als der Drift nach Rechts nachzugeben: Asylrechtsverschärfungen, Ausrufung weiterer "sicherer" Herkunftsstaaten und Bruch des Völkerrechts im Pakt mit dem türkischen Regime. Gleichzeitig aber gibt es auch deutliche Zeichen der Hoffnung, die auf etwas Neues verweisen: Seit dem letzten Sommer haben tausende Menschen spontan und eigenständig Geflüchtete unterstützt und geschützt und damit die enormen Defizite der staatlichen Bürokratie aufgefangen. Sie zeigen uns die solidarische Seite dieser Gesellschaft. Was als Durchmarsch der Rechten, der geistigen und materiellen Brandstiftung, der Gewalt, erscheint, verweist zugleich auf eine gesellschaftliche Polarisierung, in der das Pendel der Politik auch in Deutschland nach links schlagen kann. Denn jede Polarisierung bietet eine echte Chance einer Politisierung: einer gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit der Frage, in welcher Welt wir leben möchten.

Die Welt der Rechten schürt Ängste, sät Hass, setzt auf Ungleichheit, schottet sich ab und grenzt aus. In der Welt der Linken wird dieser herrschenden Politik der Verängstigung eine Politik der Hoffnung entgegengesetzt: Solidarität über Grenzen hinweg steht ganz oben auf der politischen und sozialen Agenda. In der Welt der Linken wird für eine soziale Infrastruktur gestritten, die allen gleichermaßen den Zugang zu den gesellschaftlich notwendigen und wertgeschätzten Gütern erlaubt; die Vermeidung der ökologischen Katastrophe ist keine Frage von Preisen und "Heimatschutz", sondern Menschenrecht und Menschheitspflicht. "Linke" sind jedoch nicht nur jene, die sich ausdrücklich so nennen; es gibt sie auch unter denjenigen, die sich selbst vielleicht als "unpolitisch" bezeichnen. Das Politische aber im vermeintlich Unpolitischen zu entdecken, es für die Welt der politischen Alternative zu gewinnen: Das ist die vielleicht größte Aufgabe, vor der wir heute stehen. Dies anzugehen schließt ein gründliches Umdenken auch in der Welt der Linken ein: in Richtung einer Realität, in der viele Welten Platz haben.

Dazu braucht es eine organisierte Arbeit an einem gemeinsamen Programm und Projekt für diese neue Realität – über alle Einzelinitiativen hinaus. Um diese Chance zu ergreifen, hat dieser Tage das Institut Solidarische Moderne vorgeschlagen, die vielerorts bereits geführten Diskurse über die nächsten und ferneren Schritte eines sozialökologischen Gesellschaftsumbaus in lokalen und regionalen Foren zusammenzubringen. Das Ziel: die Schaffung von Orten des demokratischen Ratschlags und schließlich der solidarischen Einigung auf ein gemeinsames Vorgehen. Dabei müssen die Bindungen zu bestehenden Organisationen nicht in Frage gestellt werden, und es geht ausdrücklich nicht um die Formierung einer neuen Partei – auch wenn klar ist, dass der sozialökologische und demokratische Gesellschaftsumbau seine maßgebliche Instanz oder seinen Rahmen nicht allein in einer Koalition der rot-grün-roten Parteien wird finden können. Es geht vielmehr darum, dass sich jetzt all jene in Bewegung setzen bzw. ihre Bewegungen aufeinander beziehen, die das Gemeinsame der vielstimmigen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen zusammenbinden wollen – etwa der Willkommensinitiativen und des Widerstands gegen Rassismus, Pegida und AfD sowie gegen das neoliberale Programm der Prekarisierung. Gewerkschafter*innen etwa könnten dabei einen reichen Erfahrungsschatz aus langwierigen, überparteilichen Kämpfen um menschenwürdige Arbeits- und Sozialbeziehungen einbringen. Wir wissen aber auch: Der demokratische Neuanfang kann nur ein europäischer sein. In vielen Ländern Europas gibt es hoffnungsvolle Ansätze, den Aufbruch zur Demokratisierung der EU mit einer emanzipatorischen Programmatik zu beschreiben. Die von Democracy in Europe Movement 25 (DiEM 25) ergriffene Initiative ist dabei ein erster richtiger Schritt, den es nun in allen europäischen Ländern zu wagen gilt. Auch bei uns. Hier wäre ein solcher demokratischer Neubeginn vor allem einer der Mosaik- oder Crossover-Linken – hin zur gesellschaftsverändernden Kraft eines gemeinsamen Programms und Projekts. Wir sind schon viele, aber wir brauchen einen gemeinsamen politischen Ausdruck. Der Sinn dieses Politisierungsprozesses ist folglich ein gesellschaftlicher. Parteipolitisch wird er nur insoweit sein, als es auch darum gehen wird, den Parteien eine Wahl einzuräumen: die Wahl, sich der Notwendigkeit einer sozialökologischen Transformation dieser Gesellschaft zu stellen und Teil eines Neubeginns der Demokratie zu werden.

Zum Gastbeitrag in der FR-online

Zum Aufruf "Die Demokratie neu beginnen"

Zu den Autor*innen:

Astrid Rothe-Beinlich ist Abgeordnete im Thüringer Landtag für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.
Volker Koehnen arbeitet als Gewerkschaftssekretär in Frankfurt am Main.
Andrea Ypsilanti ist Abgeordnete im Hessischen Landtag für die SPD.
Alle drei gehören dem Vorstand des Instituts Solidarische Moderne an.