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Niemand wird Frauen aus Nettigkeit helfen!

Ein Plädoyer für mehr Wut von Franziska Drohsel im Tagesspiegel

Zu Beginn der Krise wurde auf Frauen geschaut, die alles am Laufen halten. Das sollte geschätzt werden. Stattdessen kam Homeschooling. Ein Plädoyer für mehr Wut.

Fußböden, auf die vor lauter Spielzeug, Klamotten und Papierstapeln nicht mehr getreten werden kann, Homeschooling, verdrecktes Geschirr, Videokonferenzen, Kindertränen, gestresste Kolleginnen, das Kleinschneiden von Äpfeln, heruntergefallene Tassen, ein stetig plingendes Arbeitsmailfach und das alles gleichzeitig - fünfzehn Stunden ohne Pause. Erschöpfung, Müdigkeit, Wut. Wut von Frauen.

Die passenden Zahlen zu dieser Wut lieferten mehrere Studien in den letzten Tagen. Die Kinderbetreuung übernehmen in der Hälfte der Haushalte die Frauen (Mannheimer Studie). In 30 Prozent der Haushalte, in denen sich Eltern die Erwerbs- und Sorgearbeit teilten, erhalte im Zuge der Corona-Krise die Frau die Hauptzuständigkeit (HBS). Frauen sind stärker von Arbeitszeitanpassungen betroffen (WZB). Gut ein Viertel der Frauen haben die Arbeitszeit reduziert, bei den Männern erheblich weniger (HBS).

Zu Anfang der Corona-Krise in Deutschland las ich über die Wertschätzung gegenüber den Pflegekräften, den Verkäuferinnen an der Supermarktkasse, den Reinigungskräften und Menschen von der Müllabfuhr, den Busfahrern und noch vielen mehr. Ich las darüber, dass die Gesellschaft endlich sehe, wer die wahren Leistungsträger dieser Gesellschaft sind. Nicht überbezahlte Unternehmensberater, Fußballspieler oder Investmentbanker, sondern die Menschen, die sich um die Bedürfnisse des täglichen Überlebens kümmern.

Es sind die Frauen, die im Kleinen, in den Familien, das System am Laufen halten. Es sind überwiegend die Frauen, die im Großen, sprich in den vielen systemerhaltenden Berufssparten, das System am Laufen halten. Alles muss, alles wird sich ändern, las ich. Die Löhne, die Absicherung, die Wertschätzung.

Seither sind einige Wochen vergangen. Nichts scheint sich zu verändern. Weder im Kleinen, im vermeintlich Privaten. Noch im Großen, in den Arbeitsbeziehungen. Im Gegenteil.
Es sind Frauen, die den überwiegenden Teil der Doppelbelastung von Erwerbsarbeit und familiärer Care-Arbeit tragen. Und Überraschung: Es sind auch jetzt die Frauen, die wegfallende Kita- und Schulbetreuung ausgleichen. Sie sitzen zu Hause. Sie trösten weinende Kinder. Sie mailen mit Lehrkräften. Sie nehmen unbezahlt Urlaub. Sie reduzieren ihre ohnehin schon geringere Stundenzahl. Die Folgen sind klar: noch geringere Gehälter, geringere Karrierechancen, größere Abhängigkeiten, geringere Renten.

Und die Männer? Sind ja so unabkömmlich!

Die Männer haben sich mit erstaunlicher Schnelligkeit einen Arbeitsalltag aus aneinander folgenden Zoom-Konferenzen organisiert, in dem sie sich ihren männlichen Kollegen mit ihren Kaffeetassen zuprostend ihre eigene Unabkömmlichkeit versichern.

Was sind die politischen Antworten? Selbst die Verlängerung der Lohnfortzahlung bedurfte erst des massiven Einsatzes SPD geführter Ministerien. Warum ist darüberhinaus nicht ein Modell denkbar, in dem eine Woche der Vater und eine Woche die Mutter die Kinderbetreuung übernimmt – flankiert an eine Lohnersatzleistung, die sich die Gemeinschaftlichkeit der Arbeitsteilung knüpft? Ein Modell, in dem Alleinerziehende auch umfassend unterstützt werden? Warum wird das Ehegattensplitting nicht endlich abgeschafft, dass diese ungleiche Aufteilung immer weiter zementiert? Warum werden nicht wirksame Anreize für andere Personalplanungen in Unternehmen und Verwaltungen gesetzt?

Jetzt wird über eine ökologisch unvertretbare Autowrackprämie diskutiert, um mit öffentlichem Geld die Gewinneinbrüche solventer Autohersteller abzusichern. Ich frage mich: Wo sind die Lohnerhöhungen, die Schutzpakete, die Prämien für die systemerhaltenden Berufe?

Es ist jetzt die Zeit, den Berufsgruppen, die sich noch immer einem erhöhten Risiko der Infektion aussetzen, den Berufsgruppen, die für unser aller tägliches Überleben unabdingbar sind, die Wertschätzung zukommen zu lassen, von der ich in den Zeitungen las und von der das abendliche Klatschen ein Ausdruck war. Das funktioniert nur mit guten Arbeitsbedingungen und deutlich mehr Geld.

Das Traurige ist: Selten war eine feministische Linke so notwendig, wie sie es jetzt ist. Die SPD ist meine Partei, von der ich mir den Mut zur Auseinandersetzung und die Kraft zur Unterstützung wünsche. Sie ist noch da. Sie ist an der Bundesregierung, an etlichen Landes- und Kommunalregierungen beteiligt. Aber meine Hoffnung ist gering.

Was tut die SPD? Meine Partei?

Ich vermute, die Dinge müssen von Frauen selber in die Hand genommen werden. Niemand hilft aus Nettigkeit. Veränderungen müssen erkämpft werden. Im Kleinen tagtäglich. Mal sehen, nach wie vielen Wutanfällen Schluss ist – mit diesen gutgelaunten, saturierten Männer, die mir auf meine neugierige Anfrage mit einem Grinsen im Gesicht verkünden, dass die Partnerin das mit dem Homeschooling übernommen hätte.

In ihrem Grinsen das Wissen flackernd, wie unverschämt, dreist und egoistisch die mangelnde Verantwortungsübernahme ist, der Stolz, sich in seiner Arbeit wieder wichtiger genommen zu haben und die Schwäche. Und im Großen müssen sie erkämpft werden, die Veränderungen. Dazu braucht es Organisierung. Streik. Protest. Dinge lahmlegen. Wenn das Abrackern, die Dinge am Laufen zu halten, fünfzehn Stunden täglich einnimmt, ist die Kraft für politische Treffen, Absprachen und Kämpfe begrenzt. Wie man dieses Dilemma lösen kann, weiß ich nicht. Wer eine Antwort darauf findet, soll sich bei mir melden. Ich kämpfe mit.

Der Originalbeitrag ist im Tagesspiegel vom 24.05.2020 online abrufbar.