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"Nur mit einer gemeinsamen Idee von einem Politikwechsel"

Andrea Ypsilanti (ISM-Sprecherin, SPD) über R2G im Bund

Die frühere Partei- und Fraktionschefin der hessischen SPD, Andrea Ypsilanti, hat sich für eine rot-rot-grüne Regierungskoalition auf Bundesebene ausgesprochen.

Rot-Rot-Grün dürfe allerdings nicht um jeden Preis durchgesetzt werden, nur weil es rechnerisch möglich sei, mahnte Ypsilanti am Dienstag im Deutschlandradio Kultur. Notwendig sei vielmehr eine gemeinsame Idee der Beteiligten von einem Politikwechsel. Sie glaube, dass Sigmar Gabriel dem positiv gegenüberstehe.

Es kommt auf die Programmatik an

Sie unterschätze nicht die Rolle einer Spitzenkandidatur in der medialen Welt, so die SPD-Politikerin. Aber es komme doch auf die Parteien und deren Programmatik an. "Da muss man sehen, ob alle drei Parteien bereit sind, mit neuen Inhalten, mit einer Leidenschaft, sie auch zu vertreten - nach außen zu vertreten und nach innen - zu so einer Konstellation bereit sind. Ich traue das Gabriel zu", sagte Ypsilanti, die 2008 mit ihrem Projekt einer von der Linken tolerierten rot-grünen Minderheitsregierung in Hessen am Widerstand einzelner Abgeordneter gescheitert war.

Ende der Austeritätspolitik in der EU

Der von Ypsilanti angestrebte Politikwechsel solle ein Ende der Austeritätspolitik in der EU beinhalten. "Es kann nicht sein, dass eine europäische Sozialdemokratie dabei zuschaut, dass in den südlichen Ländern massenweise junge Menschen arbeitslos sind, Menschen auf der Straße leben und so weiter", mahnte die Politikerin. Außerdem müsse man endlich die Frage der Umverteilung des enormen Reichtums innerhalb der Staaten, aber auch innerhalb Europas thematisieren.

Ypsilanti kritisierte, die SPD habe es versäumt, während der Großen Koalition über diese Zeit hinauszudenken: "Also, ein über die Große Koalition hinausweisendes Programm zu machen und klarzumachen: das ist der Kompromiss, den man in einer Koalition dann macht und wo man auch loyal sein muss. Aber unsere Ideen gehen weit darüber hinaus."

Beitrag nachzulesen und zu hören auf www.deutschlandradiokultur.de

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Das Interview im Wortlaut:

Liane von Billerbeck: Heute Abend will sich die engere SPD-Parteiführung treffen in Düsseldorf. Doch trotz vorher anders lautender Gerüchte soll es wohl noch nicht um die Kanzlerkandidatur gehen, die soll erst bei einer Klausurtagung Ende Januar durch Beschluss des Parteivorstandes feststehen.

2017 ist bekanntlich Wahljahr und da steht – etwas lauter als bisher – die Möglichkeit im Raum für eine rot-rot-grüne Koalition auch im Bund. Andrea Ypsilanti ist in Hessen 2008 mit der Regierungsbildung einer rot-grünen Minderheitsregierung unter Tolerierung der Linken gescheitert, weil sie genau das vor der Wahl wiederholt ausgeschlossen hatte. Derzeit ist sie Landtagsabgeordnete und zudem Gründungsmitglied und Vorstandssprecherin des Instituts Solidarische Moderne, und jetzt am Telefon, schönen guten Morgen!

Andrea Ypsilanti: Guten Morgen!

von Billerbeck: R2G nennt man das Ganze ja immer, das klingt für mich immer so ein bisschen wie der Roboter R2G2 aus "Star Wars". Bei Ihnen heißt R2G ja Rot-Rot-Grün und Sie plädieren ganz klar dafür. Warum?

Ypsilanti: Also, ich glaube, dass man auf die Krise in Europa und den Rechtspopulismus und den auch zunehmend gewaltbereiten Rechtsextremismus in Deutschland nur eine linke Antwort entgegensetzen kann. Ich will aber dazu sagen: Nicht um jeden Preis Rot-Rot-Grün, sondern es muss schon auch Bedingungen geben.

von Billerbeck: Welche denn?

Ypsilanti: Also, wenn es so aussieht, wir machen Rot-Rot-Grün, weil es nach der Wahl rechnerisch reicht, dann sind wir aus dem Institut und auch ich persönlich nicht damit einverstanden. Es muss schon auch klar sein, wo eine rot-rot-grüne Regierung einen Unterschied machen würde in dieser Krise.

von Billerbeck: Und wo macht sie dann einen Unterschied und welche Fragen vor allem sind nicht verhandelbar?

Ypsilanti: Also, ich glaube, dass die Leute nicht mehr hören wollen, welche Partei über welches Stöckchen springt, damit man zu einer rot-rot-grünen Koalition kommt, sondern es wird erwartet, mit Recht erwartet, dass rot-rot-grüne Parteien eine gemeinsame Idee von einem Politikwechsel bekommen. Und da würde da zum Beispiel dazugehören das Ende der Austerität, unbedingt. Es kann nicht sein, dass eine europäische Sozialdemokratie zuschaut, dass in den südlichen Ländern massenweise junge Menschen arbeitslos sind, Menschen auf der Straße leben und so weiter. Dazu würde endlich gehören die Frage der Umverteilung, des enormen Reichtums innerhalb der Staaten, aber auch innerhalb Europas zu thematisieren. Es würde dazugehören, wieder über die Demokratisierung der Lebensbereiche von Schule bis Arbeitsplatz zu sprechen, den Umgang mit den Ressourcen … - Also, es liegen ganz, ganz viele Themen auf dem Tisch, die von so einer Konstellation anders beantwortet werden müssen als von der jetzigen Regierung.

von Billerbeck: Nun, wie wäre dann ein Kanzlerkandidat Sigmar Gabriel in dieser Rolle vorstellbar?

Ypsilanti: Nun, eine Person an der Spitze einer Partei muss so einen Wechsel glaubwürdig vertreten. Und Sie wissen ja, Sigmar Gabriel hat es durchaus positiv bewertet, dass sich die Parlamentarierinnen und Parlamentarier vor Kurzem in einer großen Runde Rot-Rot-Grün getroffen haben.

"Ich unterschätze nicht die Rolle einer Spitzenkandidatur in der medialen Welt"

von Billerbeck: Er ist da mal kurz aufgeschlagen.

Ypsilanti: Ja, aber ich glaube, dass er der Sache positiv gegenübersteht. Aber ich sage auch dazu: Ich unterschätze nicht die Rolle einer Spitzenkandidatur in der medialen Welt, dennoch kommt es auf die Parteien an, auf ihre Programmatik, auf ihre Inhalte. Und da muss man sehen, ob alle drei Parteien bereit sind, mit neuen Inhalten, mit mehr Leidenschaft sie auch zu vertreten, nach außen zu vertreten und nach innen zu so einer Konstellation bereit sind. Ich traue das Gabriel zu.

von Billerbeck: Nun müssen wir ja gar nicht über die Linken oder über die Bündnis 90-Grünen reden, sondern reden wir über Ihre Partei! Sie haben in einem Positionspapier dieses Instituts für Solidarische Moderne vom Dezember auch Selbstkritik geübt am bisherigen Vorgehen der Sozialdemokraten. Was, Frau Ypsilanti, muss die SPD denn anders machen, damit es zum Politikwechsel tatsächlich kommt?

Ypsilanti: Also, wir haben uns in dem Positionspapier des Instituts ja kritisch mit allen drei Parteien auseinandergesetzt und uns kritisch auf alle drei Parteien bezogen. Für die SPD würde ich sagen, sie hat es schon versäumt, in der Zeit der Großen Koalition erstens über die Grenzen der Koalition hinaus zu sprechen, hinaus zu denken, also ein über die Große Koalition hinausweisendes Programm zu machen und klarzumachen, das ist der Kompromiss, den man in einer Koalition dann macht und wo man auch loyal sein muss, aber unsere Ideen gehen weit darüber hinaus. Das hat sie versäumt.

Da müsste sie jetzt nacharbeiten und ich finde auch, dass sie – und das gilt übrigens für die gesamte europäische Sozialdemokratie – sich viel falsch und zögerlich verhalten hat in der Frage der Krise in Europa. Also, gegenüber Griechenland die Austerität so brutal durchzusetzen, war falsch, das sieht man in Teilen der SPD mittlerweile auch so. Und es wird im Moment noch nicht deutlich, welche Programmatik haben wir, um über das hinauszugehen, was wir im Moment vertreten haben, um wirklich einen Wandel, um wirklich einen Politikwechsel zu begründen. Das ist das eine.

Und was die SPD auch bestimmt noch viel schärfer vertreten muss, ist zu erkennen, oder sagen wir so, zu erkennen, dass ein Wandel nicht mehr allein aus den Parteien kommen kann. Wenn wir einen Politikwechsel in Deutschland bewerkstelligen wollen, muss das gemeinsam gehen mit den Menschen, die in der Bevölkerung bereit sind, so einen Wandel mitzutragen. Und von denen gibt es viele.

von Billerbeck: Glauben Sie denn – müssen wir gar nicht über die Bevölkerung außerhalb reden –, glauben Sie denn, dass Sie die Mehrheit der Partei mit diesem Weg dorthin auch hinter sich haben? Und, nachgefragt: Schaffen Sie diese Änderung in neun Monaten, bis zur Bundestagswahl?

Ypsilanti: Das ist in der Tat eine knappe Zeit. Nun, sagen wir, ich persönlich muss jetzt niemand hinter mich bringen, das ist die Frage …

von Billerbeck: Hinter die Idee für Rot-Rot-Grün natürlich.

Ypsilanti: Hinter die Idee, ja, okay. Also, ich bringe die Themen ein, ich nehme eine hohe Bereitschaft, sogar den Wunsch oder sagen wir sogar das Bedürfnis wahr an der Basis, endlich eine Kehrtwende zu einer solidarischen, sozialdemokratischen und … ja, zu einem sozialen Europa hinzubekommen. Ich mache viele Veranstaltungen und da wissen alle: So, wie es jetzt ist, kann es nicht weitergehen, und alle warten und sind bereit, an einer neuen Idee mitzuarbeiten. Und das muss man einfordern von der Sozialdemokratie und von allen anderen Parteien. Es gibt ein großes Bedürfnis, wieder zu einer Idee einer sinnstiftenden Lebensweise zu kommen, also jenseits von Konsum, jenseits auch der Ausbeutungsverhältnisse, in denen viele im Moment auch arbeiten müssen.

von Billerbeck: Die hessische SPD-Politikerin und Vorstandssprecherin des Instituts Solidarische Moderne Andrea Ypsilanti über die Möglichkeit für Rot-Rot-Grün im Bund 2017. Ich danke Ihnen!

Ypsilanti: Bitte schön!