Arbeitskämpfe und Arbeitswelten im sozial-ökologischen Wandel

Interview mit Axel Troost, ISM-Vorstandssprecher

Axel Troost, ISM-Vorstandssprecher

Axel Troost ist als Volkswirt seit 1981 Geschäftsführer der parteiübergreifenden "Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik” (Memorandumgruppe). 2004 über die WASG zur Parteipolitik gekommen, war er von 2005 bis 2017 finanzpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion DIE LINKE und ist seit 2012 stellvertretender Parteivorsitzender der LINKEN.

Bei der ISM-Konferenz "Die Politik der Vielen" ging es auch darum, über die Chancen eines sozial-ökologischen Wandels für die Arbeitswelt zu diskutieren. An welchem Punkt stehen wir da?

Im Rahmen der Konferenz ging es unter anderem darum, den rasanten Wandel der heutigen Arbeitswelt zu diskutieren. In unserem Workshop zu dem Thema haben wir Silvia Habekost für den Bereich öffentlicher Dienst/Dienstleistungen und Nicole Mayer-Ahuja, die dazu forscht, sowie Uwe Meinhard von der IG Metall, der über den Bereich der Automobilindustrie gesprochen hat. In beiden Bereichen stehen wir vor deutlichen Herausforderungen in der Arbeitswelt. Ich fange einmal mit den großen Umbrüchen an. Im verarbeitenden Gewerbe und speziell in der Automobilindustrie gibt es im Wesentlichen drei Treiber von Transformationen. Nummer eins ist die Notwendigkeit einer ökologischen Wende, die viele Prozesse nach sich zieht – nämlich des Ausstiegs und des Umstiegs. Zweitens spielt die Globalisierung eine wichtige Rolle, sowohl was die Vielfältigkeit der Zulieferungsketten angeht als auch die Tatsache, dass manche Länder – nicht nur die USA – nicht mehr bereit sind, endlos Produkte aus der Bundesrepublik Deutschland abzunehmen. Der dritte an Bedeutung zunehmende Trend liegt in der Digitalisierung. Das betrifft sowohl den Produktionsprozess, Stichwort Arbeit 4.0, als auch das Environment des Produktes – wie beim Mobiltelefon. Die Hardware ist daran nicht mehr nur das alleinige entscheidende Element der Wertschöpfung. Für alle Bereiche gilt, dass die Vielfalt der Arbeitnehmer*innen selbst zunimmt. Das meint die älter werdenden Belegschaften, zunehmende Individualisierung, unterschiedliche Bedürfnisse entlang unterschiedlicher Lebenslagen etwa in Bezug auf Arbeitszeiten. Darauf muss in Tarifverträgen Rücksicht genommen werden. Ein prominentes Beispiel für einen Umbruchprozess ist der Ausstieg aus der Braunkohle in der Lausitz, zu dem es auch eine Studie aus 2019 gibt, bei der ich mitgewirkt habe. Hier stehen große Umbruchprozesse in den nächsten 18 Jahren an. Bis dahin soll die Braunkohleförderung und -verstromung eingestellt werden. Dort muss sehr genau geschaut werden, wie man Ersatzwertschöpfung und Ersatzarbeitsplätze in der Region aktiviert.

Wie sieht es mit der Automobilindustrie aus?

Die Automobilindustrie steht vor den vielleicht größten und rasantesten Umbruchprozessen seit der Nachkriegszeit. Denn es ist klar, dass ein Ausstieg aus der Verbrennungsmotortechnologie unausweichlich ist. Dies wird zehntausende von Arbeitsplätzen kosten. Die Frage ist, welche konkreten Alternativen entwickelt werden, sowohl produktionstechnisch als auch gesellschaftlich. Die IG Metall versucht als Interessenvertretung der Beschäftigten, die Elektromobilität in Deutschland zu erhalten, um so die Wertschöpfung vor Ort zu halten und die Transformation der Automobilindustrie voranzutreiben, damit diese nicht untergeht. Doch selbst das würde tausende Arbeitsplätze kosten. Und natürlich ist es eine große Herausforderung, diese neue Industrie auch aufzubauen. In unserer Diskussion ist aber auch deutlich geworden, dass die Mobilitätswende von vielen Teilnehmer*innen – aus meiner Sicht zu Recht – so gesehen wird, dass wir insgesamt einen Umbau brauchen weg von der Individualmobilität hin zu kollektiven Formen, insbesondere zu Bus und Bahn für längere Entfernungen und zu Fuß und Fahrrad für kürzere Entfernungen. Jedoch bedarf es als Zwischenschritt eine Entlastung des Individualverkehrs in Form von intelligenten Share-Lösungen.

Was heißt das für die Beschäftigten?

Wir brauchen einen deutlichen Ausbau von Mitbestimmung und Mitwirkungsmöglichkeiten der Beschäftigten und Betriebsrät*innen unten im Betrieb und natürlich auch im Konzern, was die Arbeitsplatzentwicklung insgesamt angeht. Wir brauchen möglicherweise neue Auffangformen, also so etwas wie eine Transformationskurzarbeit und entsprechendes Kurzarbeitsgeld, das Beschäftigten die Möglichkeit gibt, sich auch im Betrieb selbst auf neue Möglichkeiten zu qualifizieren. Dafür müssen Extra-Fonds geschaffen werden, die von Unternehmen und mit staatlichen Geldern gefüttert werden, also von der Bundesagentur für Arbeit, um diesen Prozess insgesamt positiv zu gestalten. Dazu ein etwas lästerlicher Hinweis: Die 12.000 entlassenen Schlecker-Mitarbeiter*innen hätten sich sicherlich auch gewünscht, dass gleichermaßen über ihren Auffang vor der Arbeitslosigkeit diskutiert worden wäre.

Wie schätzt du diese Arbeitsplatzdiskussion in den Gewerkschaften ein?

Es gibt keinen Masterplan bisher, und den wird es auch nicht geben, weil die einzelnen Unternehmen sehr unterschiedlich reagieren. Aber klar ist natürlich, dass unter profitwirtschaftlichen Prinzipien so viele Automobile wie möglich produziert werden sollen. Die IG Metall versucht an den guten Facharbeiter*innen-Arbeitsplätzen zu retten, was zu retten ist. Verständlich, denn da wurden jahrzehntelang gute Tarifverträge für die Beschäftigten erkämpft. Deshalb wird versucht, über die Sozialpartnerschaft so viel wie möglich von der Wertschöpfungskette des Elektroautos in die Unternehmen hereinzuholen. Ob das eine nachhaltige Arbeitsplatzstrategie ist, wird sich an der Frage zeigen, ob das Auto als Statussymbol und Indivdualverkehrsmittel überdauern wird.

Wie dieser Umgestaltungsprozess konkret vonstatten geht, ist noch offen. Es ist aber bereits klar, dass Gesellschaft, Gewerkschaften und Politik die Aufgabe haben, den Beschäftigten Zukunftsperspektiven zu bieten. Denn die Gefahr ist, dass gerade in diesem Bereich rechte Parolen im Sinne von "Das ist doch alles nur aufgesetzt, lasst uns beim Verbrennungsmotor bleiben, dann ist alles geritzt!" in den Belegschaften Fuß zu fassen drohen. Deshalb ist es schon wichtig, dass wir hier Alternativen aufzeigen und dafür sorgen, dass möglichst keiner auf der Strecke bleibt.

Wie steht das im Zusammenhang zum Dienstleistungsbereich und öffentlichen Sektor?

Manche Menschen haben das Gefühl, in Deutschland geht die Arbeit aus und wir müssen jetzt nur noch auf Arbeitszeitverkürzung und möglicherweise auch auf ein Grundeinkommen setzen, um dem entgegenzutreten. Dem steht aber die Perspektive im öffentlichen Dienst und gemeinwohlorientierten Tätigkeiten in diesem Bereich entgegen. Hier gibt es riesige gesellschaftliche Bedarfe an zusätzlichen Vollzeitarbeitsplätzen. Schätzungen zeigen, dass es mindestens eine Million zusätzliche Beschäftigungsmöglichkeiten gibt im Bereich Bildung – von der Kita über die Schule, über die Universität bis zum Weiterbildungsbereich. Für die Pflege gilt das bekanntermaßen sowieso. Das ist aber auch der Fall in vielen anderen Bereichen wie der öffentlichen Verwaltung – etwa in den Planungsabteilungen der Ämter auf der kommunalen Ebene, die völlig ausgedünnt sind. Dort herrscht vielerorts die Situation, dass Bauanträge nicht richtig bearbeitet werden und auch öffentliche Vorhaben nicht richtig durchgeplant werden können. Hier gibt es einen riesigen zusätzlichen Bedarf, der im Augenblick überhaupt nicht gedeckt werden kann. Dabei stellt sich die Frage, wie die Parole "Gleiche Bezahlung für gleichwertige Arbeit" Realität werden kann. Wir haben in Deutschland die Situation, dass das Lohnniveau zwischen verarbeitendem Gewerbe und Dienstleistungsgewerbe, also haushaltsorientierten Dienstleistungen, so groß ist wie in fast keinem anderen Land der Welt. Und das legt den jungen Menschen natürlich erst einmal nahe zu versuchen, im verarbeitenden Gewerbe unterzukommen. Genau deswegen muss der öffentliche Bereich aufgewertet werden, sowohl von den Arbeitsbedingungen als auch von der Entlohnung her.

Hat der Pflegestreik diese Diskussion vorangebracht?

Der Pflegestreik war durchaus sehr erfolgreich. Teile der Beschäftigten im Pflegesektor sind so aktiv geworden, dass es Auswirkungen in der Politik gezeitigt hat. Zuvor waren ja auch die Erzieher*innen in eine erbitterte Tarifauseinandersetzung gegangen, nicht allein um ein bisschen mehr Lohn zu bekommen, sondern um ihre Tätigkeit insgesamt aufzuwerten. Leider mit nicht dem großen Erfolg, den ich mir gewünscht hätte. In diesen Bereichen muss es zu einer noch viel besseren gewerkschaftlichen Organisierung der Beschäftigten kommen, damit eine entsprechende Aufwertung stattfindet. Wenn wir bei den erzieherischen Berufen, im Pflegesektor und in vielen anderen gemeinwohlorientierten Dienstleistungen eine deutlich bessere Personalausstattung erreichen, wird das insgesamt eine Ausstrahlung auf die gesamte Gesellschaft haben. Denn dies bedeutet mehr Sicherheit, bessere Bildung und Durchsetzung von Bildungschancen auch für Kinder aus bildungsfernen Familien. Hier haben nicht nur die skandinavischen Länder, sondern auch viele andere westeuropäische Länder bereits eine viel bessere Ausstattung als die Bundesrepublik.

Wo liegt der Knackpunkt für ein Gelingen dieser schwierigen Transformationsprozesse?

Bei allen angesprochenen Fragen wird es sehr deutlich, dass Wirtschaftspolitik, Sozialpolitik und Regionalpolitik eine viel größere Rolle spielen müssen, als das bisher der Fall war. Die Transformationsprozesse in der Arbeitswelt lassen sich rein marktwirtschaftlich keineswegs lösen. Hier brauchen wir einen Staat, der eingreift, Einfluss nimmt, der aber auch Finanzkraft haben muss. Von daher spielt der Kampf gegen die Schwarze Null und gegen die Schuldenbremse, für ein gerechteres Steuersystem mit mehr Einnahmen eine entscheidende Rolle.

Dieser Artikel ist in der ISM-Broschüre "Die Politik der Vielen[1]" erschienen.

Lesetipps
Cornelia Heintze, Rainald Ötsch, Axel Troost: Die Beschäftigungslücke in der sozialen Infrastruktur. Ungedeckte Bedarfe für eine gute Versorgung mit öffentlichen und gemeinwohlorientierten Dienstleistungen in Deutschland. In: RLS-Studien 2/2020[2].

Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik, MEMORANDUM 2020: "Gegen Markt- und Politikversagen – aktiv in eine soziale und ökologische Zukunft", Kapitel 1: Nachhaltige Mobilität: Verkehrswende aktiv gestalten. Köln 2020. Kurzfassung, Inhaltsverzeichnis, Kapitelzusammenfassung und Grafiken zum Download.[3]

Rosa-Luxemburg-Stiftung (Hrsg.): Nach der Kohle. Alternativen für einen Strukturwandel in der Lausitz. In: RLS-Studien 4/2019[4].

Links:

  1. https://www.solidarische-moderne.de/de/article/585.die-politik-der-vielen.html
  2. https://www.rosalux.de/publikation/id/41667/die-beschaeftigungsluecke-in-der-sozialen-infrastruktur/
  3. https://www.alternative-wirtschaftspolitik.de/de/article/10656344.memorandum-20.html
  4. https://www.rosalux.de/fileadmin/rls_uploads/pdfs/Studien/Studien_4-19_Nach_der_Kohle.pdf