Sozial-ökologischer Politikwechsel in NRW gescheitert

Versagen der parteipolitischen Linken schadet der Demokratie

Nach Hamburg, Hessen, Thüringen und dem Saarland haben nun in NRW die WählerInnen eine parlamentarische Mehrheit links von CDU und FDP gewählt, und zum fünften Mal ist die Bildung einer sozial-ökologischen Reformregierung aus SPD, GRÜNEN und der Partei DIE LINKE gescheitert. Zum fünften Mal fällt somit der sozial-ökologische Politikwechsel (zumindest vorerst) aus und die Wahlverlierer von CDU und/oder FDP regieren weiter. Nach dem Scheitern der Sondierungsgespräche hat nun das unvermeidliche "Blame Game" begonnen und SPD, GRÜNE und LINKE schieben sich gegenseitig den Schwarzen Peter zu. Wir stellen folgende Faktoren fest, die für das Scheitern von Rot-Grün-Rot in NRW (mit)verantwortlich sind:

  1. Mangelnder politischer Wille und andere (Koalitions-)Präferenzen: Es gab zwar innerhalb aller drei beteiligten Parteien Kräfte, die ernsthaft bereit waren, Rot-Grün-Rot konstruktiv zu verhandeln. Eine Mitte-Links-Regierung war aber insgesamt schlecht vorbereitet und es gab keinen gemeinsamen politischen Willen zum Erfolg. Innerhalb der NRW-SPD gab es offenbar relevante Kräfte, die eine klare Präferenz für eine Große Koalition gegenüber Rot-Grün-Rot hatten. Innerhalb der GRÜNEN gab es erhebliche Zweifel an der Regierungsfähigkeit der NRW-LINKEN. Ebenso strebten relevante Kräfte innerhalb der NRW-LINKEN Opposition statt Regierungsbeteiligung an.

  2. Unglückliche Anlage der Sondierungsgespräche: Zwar mussten SPD und GRÜNE auf eine Klarstellung der Linkspartei in Bezug auf ihr Verhältnis zur DDR drängen, da sich LINKEN-Landtagsabgeordnete mit nicht hinnehmbaren Relativierungen von SED-Herrschaft und Stasi hervorgetan hatten. Die DDR-Frage jedoch an den Anfang der Gespräche zu stellen, anstatt zunächst über offensichtliche politische Gemeinsamkeiten – Abschaffung der Studiengebühren, Längeres gemeinsames Lernen, ökologische Industriepolitik, Stopp unsozialer Politik über den Bundesrat – zu reden, war eine destruktive Prioriätensetzung, die das Scheitern der Gespräche beförderte.

  3. Streitpunkt Landeshaushalt: Die Haushalts- und Finanzpolitik scheint ein realer Bruchpunkt gewesen zu sein. Angesichts des dramatischen strukturellen Defizits im Landeshaushalt und der mangelnden Gestaltungsmöglichkeiten der Länder auf der Einnahmeseite sind realer linker Reformpolitik im Land Grenzen gesetzt, solange die steuerpolitischen Rahmenbedingungen auf Bundesebene nicht verbessert werden. Mit Letzterem ist mit schwarz-gelber Bundesregierung aber nicht zu rechnen. Vielmehr steht für jede Landesregierung ein Sanierungskurs auf der Tagesordnung. Indem die Linkspartei jedoch offenbar nicht einmal die prinzipielle Bereitschaft erkennen ließ, über künftig wegfallende und möglicherweise auch aus progressiver Sicht überflüssig werdenden Stellen beim Landespersonal auch nur zu reden, nahm sie an zentraler Stelle eine Blockadeposition ein. Die von der LINKEN formulierte Bedingung, keinerlei Personalabbau im öffentlichen Dienst zuzustimmen, hat die Gegner von Rot-Grün-Rot innerhalb von SPD und GRÜNEN gestärkt.

  4. Unerfahrenheit der NRW-Linkspartei: Die Linkspartei bringt als neue Kraft wichtige Impulse ins Landesparlament ein und mehr als 5 % der WählerInnen wollten eine NRW-Linksfraktion. Allerdings ist die Kehrseite der Medaille ein großes Maß an politischer Unerfahrenheit aufseiten von NRW-Linkspartei und –fraktion. Dass Teile der LINKEN Sondierungsgruppe diese Unprofessionalität offenbar kontinuierlich unter Beweis stellten (Beispiele sind die offensichtliche Unkenntnis darüber, was ein Koalitionsausschuss ist, eine während der gesamten Sondierungsgespräche schweigende LINKE Spitzenkandidatin sowie offen ausgetragene Meinungsverschiedenheiten innerhalb der LINKEN in Bezug auf das Verhältnis von Partei und Fraktion im Falle einer Regierungsbeteiligung), stärkte bei in den Sondierungsdelegationen von SPD und GRÜNEN den Eindruck, dass die NRW-Linkspartei (noch?) nicht in der Lage war, Regierungsverantwortung zu übernehmen – vor allem angesichts der heftigen Kritik aus dem schwarz-gelben Lager und Teilen der Medien, der eine rot-grün-rote Reformregierung ausgesetzt gewesen wäre.

  5. Fehlendes Vertrauen: Es fehlte von Anfang an das Vertrauen zwischen den Beteiligten. Dies wurde bereits im Wahlkampf dadurch befördert, dass SPD und GRÜNE darauf hinarbeiteten, die Linkspartei aus dem Landtag herauszuhalten, um so eine eigene rot-grüne Mehrheit zu schaffen. Ebenso plakatierten Kreisverbände der NRW-LINKEN gegen die SPD und die GRÜNEN gerichtete Parolen, anstatt sich den gemeinsamen politischen Gegner (Schwarz-Gelb) vorzunehmen.

Ausgehend von diesen Erfahrungen muss die parteipolitische Linke in Deutschland an folgenden Herausforderungen arbeiten, wenn eine sozial-ökologische Reformregierung aus SPD, GRÜNEN und LINKEN Wirklichkeit werden soll:

  1. Programmatische und organisatorische Vorbereitung vor den Wahlen: Eine rot-grün-rote Regierung muss lange vor den Wahlen vorbereitet werden; konzeptionell wie auch zwischen handelnden Personen. Das Institut Solidarische Moderne wie auch die Oslo-Gruppe im Bundestag kann hier eine wichtige Rolle spielen, aber auch die jeweiligen Partei- und Fraktionsspitzen müssen beteiligt sein, möglichst gerade auch diejenigen, die eher skeptisch sind. Daran kranken bisher die bestehenden Initiativen.

  2. Linke Politik unter Bedingungen neuer Knappheiten: Eine Mitte-Links-Regierungmuss sich den Realitäten der hohen Staatsverschuldung stellen und gleichzeitig Gestaltungsspielräume für solidarische Reformpolitik erschließen. Umverteilung und sozial-ökologische Zukunftsinvestitionen müssen daher aus Einsparungen und höheren Steuereinnahmen finanziert werden. Die Hoffnung, durch massive Erhöhung des Wirtschaftswachstums unsere linken Pläne zu finanzieren, erscheint bei einem zweiten Blick auf ökologische Grenzen, Globalisierung der Ökonomie und den demographischen Wandel nicht realistisch. In den Kommunen und Ländern gibt es wenig Möglichkeiten, die Einnahmesituation zu verbessern. Sicher sollten linke Koalitionen auf allen Ebene einnahmeverbessernde Maßnahmen von der Bundesebene einfordern, alleine durchsetzen können sie sie nicht. Damit gilt besonders in den Ländern, dass rot-grün-rote Koalitionen unter den real-existierenden Knappheiten wirtschaften müssen. Wer das nicht schon im Wahlkampf und bei Koalitionsbedingungen berücksichtigt, veräppelt nicht nur die WählerInnen, sondern erschwert linke Regierungen.

  3. Thema DDR: Demokratische und emanzipatorische linke Politik muss sich unmissverständlich vom SED-Regime und dem Unrecht in der DDR abgrenzen. An dieser Stelle darf es auch keine Formelkompromisse geben, sondern eine echte und ehrliche Übereinkunft aller Beteiligten, die auch gemeinsam vertreten werden muss. Gleichzeitig wird ein sozial-ökologischer Politikwechsel aber auf erheblichen politischen Widerstand stoßen: Massive Angriffe aus der demokratischen Rechten (CDU, CSU, FDP) und konservativer Medien werden so oder so kommen und auf die SED-Vergangenheit der Linkspartei abzielen. Gerade wenn man ökonomisch umverteilen will und damit Widerstand produziert, braucht es klare Aussagen bei symbolischen und identitären Fragen der Vergangenheitsbewältigung. Allerdings ist es weder inhaltlich sinnvoll noch strategisch klug, wenn SPD und GRÜNE versuchen, CDU und FDP in Sachen Antikommunismus und antilinker Rhetorik rechts zu überholen. Klare Abgrenzung von der DDR ja, Diffamierung sozialistischer Bewegungen und Parteien nein.

  4. Rot-Grün-Plus: Einerseits war es nachvollziehbar, dass SPD und GRÜNE, nachdem sie die gemeinsame Mehrheit nur um 1.000 Stimmen verfehlt hatten, auf die gemeinsame Suche nach einem dritten Partner machten. Andererseits schwang in "Rot-Grün-Plus" die Botschaft mit, die Linkspartei sei keine gleichberechtigte Partnerin. Für die Zukunft muss gelten: Wenn eine rot-grün-rote Koalition funktionieren soll, müssen sich die PartnerInnen auf Augenhöhe begegnen.

  5. Außerparlamentarischer Druck: Soziale Bewegungen, die für soziale und ökologische Gerechtigkeit mobilisieren, sind kein Gegensatz linker Regierungspolitik, sondern gerade in diesen Zeiten notwendig. Bestand und Erfolg wird eine sozial-ökologische Reformpolitik nur haben, wenn sie gesellschaftlich getragen wird.

Aktuell ist die Lage in NRW zu unübersichtlich, um abschließend die Folgen der gescheiterten rot-grün-roten Sondierungsverhandlungen bewerten zu können. Wahrscheinlich und zu hoffen ist, dass die linke parlamentarische Mehrheit zumindest für gemeinsame inhaltliche Maßnahmen (Abschaffung der Studiengebühren etc.) genutzt werden wird und dass Wahlverlierer Rüttgers aus der Staatskanzlei abgewählt wird, um so den schwarz-gelben Sozialabbau im Bundesrat zu stoppen. Wie lange eine rot-grüne Minderheitsregierung wird arbeiten können, bleibt abzuwarten. Sollten die drei linke Parteien nun die fünfte Chance verpassen, das WählerInnenvotum für den sozial-ökologischen Politikwechsel umzusetzen, würde dies der Demokratie schweren Schaden zufügen.