Erneuerbares-Energien-Gesetz in Gefahr

Ein Plädoyer von Dr. Franz Alt

Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler will die Energiewende ausbremsen und den Photovoltaik-Ausbau im Rahmen des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) kürzen – und zwar auf ein Gigawatt pro Jahr. Das wäre eine Reduktion um beinahe 90%. 2010 und 2011 hat das Wachstum der Photovoltaik in Deutschland jeweils sensationelle 7.5 Gigawatt Leistung betragen. Wenn die Bundesregierung dem Wirtschaftsminister folgt, ist die bisher hoffnungsvolle und zukunftsfreudige deutsche Solarbranche, die weltweit Technologieführer ist, bald tot. Und die Energiewende stirbt gleich mit.

Der Anteil des erneuerbaren Stroms beträgt zurzeit knapp 21 %. Das bedeutet eine Verfünffachung in 12 Jahren – dank des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes (EEG), das der Bundestag im Jahr 2000 beschlossen hat. Dieses weltweit erfolgreichste Gesetz mit dem Ziel einer 100-prozentigen Energiewende ist inzwischen von über 60 Ländern übernommen worden- einschließlich der künftigen Supermächte Indien und China. 16 EU-Staaten orientieren sich am deutschen EEG. Dieses Gesetz hat in Deutschland zu knapp 400.000 neuen Arbeitsplätzen geführt.

Hermann Scheer, Träger des Alternativen Nobelpreises, war Vater des EEG und eineinhalb Jahre vor seinem Tod auch Inspirator und Gründungsmitglied des Instituts Solidarische Moderne (ISM). Wir im ISM, die wir seinen ökosozialen Zielen verpflichtet sind, sehen mit Bestürzung wie der derzeitige Wirtschaftsminister Rösler das EEG zu demontieren versucht und damit auch die von ihm mit beschlossene Energiewende torpediert. Die von der Bundesregierung 2010 beschlossene Energiewende war die angemessene Reaktion auf die Katastrophe von Fukushima. Doch nichts oder fast nichts geschieht zur Realisierung dieses Beschlusses. Im Gegenteil: Auf vielen Ebenen wird die Energiewende eher behindert. Der FDP-Bundeswirtschaftsminister führt mit seinem planwirtschaftlichen Ziel, den Solarstromausbau zu deckeln, eine ganz Zukunftsbranche an den Abgrund. Der Bundestag hat noch immer keinen Energiewende-Beauftragten wie es die Ethikkommission unter Klaus Töpfer empfohlen hatte. Und von den notwendigen 4.500 Kilometer neuen Stromleitungen, um den Nordsee- und Ostsee-Windstrom vom Norden nach Westen und Süden zu bringen, sind gerade mal 120 Kilometer ausgebaut. Auch regionale Verteilernetze werden nicht erstellt. Die großen Stromfirmen stoppen ihre Offshore-Projekte und fordern von der Politik bessere Rahmenbedingungen. Wenn die Leitungen für den Erneuerbaren Strom nicht vorhanden sind, dann müssen diese rasch gebaut und nicht der Ausbau der Erneuerbaren verzögert werden. Der erste große Offshore-Windpark von RWE ist über ein Jahr im Verzug. Jetzt zeigt sich, dass Offshore-Windstrom mindestens um 50% teurer ist als Windstrom an Land. Darauf hatte Hermann Scheer immer aufmerksam gemacht: Die Energiewende wird mit dezentralen Strukturen weit preiswerter als mit den alten zentralistischen. Das gilt auch für die Solarenergie: Dächertec statt Desertec! In Deutschland scheint die Sonne auf jedes Dach. Schon heute ist Solarstrom vom Dach hierzulande preiswerter als Offshore-Windstrom.

Die Energiewende hat zurzeit vor allem eins: Gegenwind. Das Prestigeprojekt der Bundesregierung ist ernsthaft gefährdet. Philipp Rösler behauptet, die Einspeisevergütung im EEG für Solarstrom bedeute eine "Kostenexplosion". Das ist falsch. Richtig ist, dass trotz Rekordzubau von Solaranlagen durch Kostenreduktion der Preis pro Kilowattstunde Strom 2011 lediglich um 3,59 Cent gegenüber 3.53 Cent im Vorjahr gestiegen ist. Kostenexplosion sieht anders aus. Herr Rösler übersieht ganz einfach, dass die Einspeisevergütung für Solarstrom seit 2.000 inzwischen um über zwei Drittel gesenkt wurde. Und in Zukunft weiter gesenkt werden kann, denn die Produktion der Solarzellen wird dank internationaler Konkurrenz und durch die Massenproduktion immer preiswerter und wird schon in wenigen Jahren auch ohne Einspeise-Vergütung auskommen. Also: Kürzung der Einspeisevergütung für die Photovoltaik im bisherigen Tempo ja, aber kein Kahlschlag! Ganz ohne Mehrkosten ist die Energiewende freilich nicht zu haben. Aber was kostet es die Gesellschaft, wenn wir die Energiewende verschlafen?

Das ISM plädiert im Geist Hermann Scheers dafür, dass die Bundesregierung jetzt rasch einen Energiewende-Gipfel organisiert, der klare Ziele und Zeitvorgaben für die Energiewende festlegt. Die Energiewende sollte in einem Beschleunigungsgesetz zum bevorzugten Allgemeininteresse erklärt werden. Schließlich steht die energiepolitische Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit Deutschlands auf dem Spiel.

Die Bundeskanzlerin sollte den Sun-Blocker Philipp Rösler endlich stoppen und die Energiewende zur Chefsache machen. Er steht für Sonnenfinsternis anstatt für Sonnenaufgang.