Die politische Waffe

Der Innenminister missbraucht den Verfassungsschutz als Waffe gegen politische Gegner. Wähler werden verunsichert und Kandidaten benachteiligt, meint der Bundestagsabgeordnete der Fraktion Die Linke und ISM-Vorstandsmitglied Wolfgang Nešković.

Die Beobachtung linker Bundestagabgeordneter erregt zu Recht die öffentlichen Gemüter. Die Bundesjustizministerin findet die Beobachtung unerträglich, während der Bundesinnenminister sie unter Hinweis auf eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts rechtfertigt.

Das Gericht hat im Juli 2010 die Beobachtung des ehemaligen Bundestagabgeordneten Bodo Ramelow – mit öffentlich zugänglichen Mitteln – für rechtens gehalten. Es hat sinngemäß ausgeführt: Teile der Linken seien möglicherweise Verfassungsfeinde. Sicher sei das nicht. Deswegen beobachte man ja. Auch handele es sich nur um kleine Gruppen. Diese hätten kaum Einfluss auf die Gesamtlinie der Partei.

Ramelow gehöre auch nicht zu diesen kleinen Gruppen. Im Gegenteil. Er setze sich regelmäßig sehr kritisch mit ihnen auseinander. Dennoch müsse Ramelow seine Überwachung hinnehmen. Er werde ja nicht klassisch bespitzelt. Nur seine öffentlichen Reden und Schriften werteten die Schnüffler aus.

An dieser Argumentation ist so gut wie nichts nachvollziehbar. Gegen die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts ist Verfassungsbeschwerde eingelegt worden. Karlsruhe teilte mit, dass es noch in diesem Jahr entscheiden werde. Die Richter des Bundesverfassungsgerichts werden beurteilen, ob die alleinige Auswertung von öffentlichen Verlautbarungen tatsächlich zu den Aufgaben des Verfassungsschutzes gehört.

Aufgabe des Verfassungsschutzes ist es, unsere verfassungsrechtliche Grundordnung vor einem Umsturz – insbesondere einem gewaltsamen – zu schützen. Da solche Umsturzabsichten regelmäßig nicht offenbart werden, sondern im Verborgenen an ihrer Verwirklichung gearbeitet wird, arbeiten auch Geheimdienste im Verborgenen. Sie bedienen sich geheimdienstlicher Mittel, um die im Geheimen tätigen Verfassungsfeinde wirksam bekämpfen zu können. Die Abgeordneten der Linken werden aber – zumindest nach Darstellung des Bundesinnenministers – nicht mit geheimdienstlichen Mitteln, sondern ausschließlich über die Auswertung allgemein zugänglicher Quellen beobachtet. Es werden also lediglich Reden, Presseerklärungen, Interviews und Webseiteninhalte beobachtet und archiviert. Solche Archivierungsarbeiten übernehmen bei Bundestagabgeordneten im Regelfall deren Mitarbeiter. Diese Arbeit kann nunmehr eingestellt werden. Am Ende des Jahres reicht es aus, das Bundesamt anzuschreiben und um Auskunft zu bitten, welche öffentlichen Erklärungen man wann und bei welcher Gelegenheit abgegeben hat. Das ist absurd.

Der Verzicht auf geheimdienstliche Mittel beweist, dass die Linke auch vom Verfassungsschutz als ungefährlich eingeschätzt wird. Mit einer Beobachtungstätigkeit, die sich in einer bloßen Archivierung öffentlicher Erklärungen erschöpft, wird eine Verfassung offenkundig nicht vor ihrer – gewaltsamen – Beseitigung geschützt.

Der Bundesinnenminister missbraucht mit seiner Anordnung, linke Bundestagsabgeordnete beobachten zu lassen, den Verfassungsschutz. Er zweckentfremdet ihn für seine parteipolitischen Ziele. Der Verfassungsschutz dient so nicht mehr dem Schutze der Verfassung, sondern der Diffamierung und Stigmatisierung des politischen Gegners. Im politischen Wettstreit fügt der Innenminister den Linken Wettbewerbsnachteile zu, indem darauf verwiesen werden kann, dass diese beobachtet werden. Das verunsichert Wähler, benachteiligt Kandidaturen, erschwert die Mitgliederwerbung und verändert Wahlausgänge. Zu dieser Politiklenkung fehlt dem Verfassungsschutz nicht nur jede Legitimation. Sondern er bekämpft damit eine Grundidee unserer Verfassung: das Demokratieprinzip und die damit einhergehende Möglichkeit eines gesellschaftlichen Wandels.

Der Autor ist Bundesrichter a. D. und Justiziar der Fraktion Die Linke im Bundestag.

Der Beitrag wurde zunächst als Gastbeitrag im Tagesspiegel[1] veröffentlicht.

Links:

  1. http://www.tagesspiegel.de/meinung/gastbeitrag-die-politische-waffe/6134058.html