Kampf gegen rechts: Ein neuer Diskurs der Befreiung

Ist es genug, für den Kampf gegen rechts die Frage der bedrohten Demokratie ins Zentrum zu stellen?

Die meisten Strategieüberlegungen für den Kampf gegen rechts kreisen darum, die Frage der bedrohten Demokratie ins Zentrum zu stellen und dafür Verbündete zu suchen. Das knüpft an die bisherige inhaltliche Bestimmung der Brandmauer mit eben diesem Thema an. Damit können bisher noch notdürftig die Parteien der liberalen Mitte und des (mehr oder weniger) progressiven Spektrums zusammengeschlossen werden, der weitere Aufstieg der Rechten wird aber keineswegs verhindert. Dies hat meines Erachtens zwei Gründe.

1. Der Vorwurf der Demokratiegefährdung ist treffend, aber unzureichend

Zum einen läuft der Warnruf „Ihr seid demokratiefeindlich“ bei den realen und potenziellen Wählern der Rechten ins Leere. Sie betrachten ihre Wahlentscheidung als legitimes demokratisches Recht, welches im Gegenteil von den „Altparteien“ bedroht wird. Sie sehen sich auch nicht als Autoritäre oder Faschisten, die etwa einen Führer wiederhaben oder Wahlen abschaffen wollen etc. Für solche Forderungen finden sich in der Tat auch kaum Belege. Allerdings haben Rechtsparteien eine ganz andere Vorstellung von Demokratie: Sie wollen ohne den Umweg juristischer Prüfungen sowie ethischer und wissenschaftlicher Bedenken direkt den Mehrheitswillen des „Volkes“ zur Geltung bringen, und sie würden dafür bestehende Institutionen liberaler Demokratie wie die Gewaltenteilung, die Wissenschaft, Minderheitenrechte etc. schleifen. Das ist ein Angriff nicht auf Demokratie im Sinne von einer Herrschaft des Demos, sondern auf die Institutionen. Die Anklage müsste also eher lauten: Menschenrechte, Checks and Balances, der Sozialstaat, moderne Reflexionsinstanzen (öffentlicher Rundfunk, Autonomie staatlich finanzierter Wissenschaft und Kunst etc.) sind durch euch gefährdet. Dies ist jedoch kaum auf einen überzeugenden Begriff zu bringen und zudem sind solche Qualitäten moderner Gesellschaft, wenn sie denn überhaupt verstanden werden, Rechtswählern ziemlich gleichgültig.
Die Brandmarkung „Demokratiegefährdung“ war und ist für die Gegenmobilisierung notwendig und wird vielleicht auch manche von der Wahl der Rechten abgehalten haben. Hinreichend für eine Abwehr des weiteren Aufstiegs der Rechten ist sie nicht. Mindestens sind weitergehende Anklagen nötig, etwa als antimodern, als reaktionär, menschenrechtsfeindlich und unsozial. Aber auch eine inhaltlich verbesserte Rhetorik des „Gegen“ wird nicht ausreichen. Wir müssen, und das ist der zweite Punkt, zusätzlich zur Abwehr des Reaktionären das Progressive besser in Stellung bringen, wie dies in vielen Beiträgen hier und woanders auch immer wieder angesprochen wird.

2.Es geht um mehr: den Kampf gegen eine solidarische Lebensweise

Ein, wenn nicht sogar das große progressive Projekt am Anfang des 21. Jahrhunderts ist die sozial-ökologische Transformation. Der Aufstieg der Rechten ist wesentlich eine Gegenbewegung gegen ihre zarten Anfänge. Sie mobilisieren Bauern gegen Umweltschutzauflagen, Hausbesitzer gegen das Heizungsgesetz, Autofahrer gegen fahrradfreundliche Verkehrspolitiken, sie wollen Klimaschutz zurückfahren, da „unser Land“ dadurch in der Konkurrenz zurückfallen würde und anderes mehr.
Auch in Politikfeldern, die nicht unmittelbar mit der sozial-ökologischen Transformation verbunden sind, ist die Konfliktachse ähnlich. Rechtswähler wollen Bewegungs- und Geschäftsfreiheit auch in Zeiten einer Pandemie, ohne mit Einschränkungen belastet zu werden. Sie wollen ihr Business oder ihre Position im alltäglichen Kapitalismus halten oder ausbauen, da stört solidarische Rücksichtnahme nur. Für Entwicklungshilfe etwa ist „unser Geld“ zu schade, Lieferkettengesetze schwächen unsere Firmen und „unser Land“. Deswegen sind die Rechten auch gegen Wirtschaftsboykotte, die „uns“ etwas kosten. Sie fordern niedrigere Steuern, weil sie keine Sozialleistungen mehr finanzieren wollen für Leute, die es „nicht verdient haben“. Aber auch jenseits des Materiellen wollen Rechtswähler nicht auf Empfindlichkeiten von Minderheiten Rücksicht nehmen müssen, etwa in der Sprache oder in Programmen zur Förderung von Gleichheit im öffentlichen und betrieblichen Leben.
Die Rechten bauen, leider erfolgreich, die Gegenposition zur Bewegung für eine in ökologischen, sozialen und kulturellen Fragen stärker solidarische Lebensweise auf, die letztlich „weniger Kapitalismus“ bedeuten würde. Wenn wir den Zulauf für diese „Konterrevolution“ stoppen wollen, müssen wir die sozial-ökologische Transformation weniger als notwendige Anstrengung, die noch „on top“ zu den vielen Problemen hinzukommt, verstehen und propagieren. Im Gegenteil: Die Visionen „unserer“ Transformation müssen stärker an realen und/oder empfundenen Leiden derjenigen Schichten ansetzen, die ihr bisher skeptisch bis ablehnend gegenüberstehen, etwa an wirtschaftlicher Existenzangst, der Erfahrung mangelnder Work-Life-Balance und dem Gefühl des Abgehängt-Seins.

3. Die sozial-ökologische Transformation als Befreiung aus Leiderfahrungen

Ohne die sozial-ökologische Transformation als (auch) individuelle Befreiung aus diesen (realen und/oder gefühlten) Leiden zu denken und zu praktizieren, wird sie nicht hegemonial werden und damit die rechte Gegenbewegung zurückdrängen können. Die Hoffnung auf ein besseres eigenes Leben, in dem diese Leiden abgeschafft oder zumindest stark reduziert sind, und die Hoffnung auf eine dies ermöglichende bessere Gesellschaftsordnung ist bislang tragendes Movens noch jeder historischen transformativen bzw. revolutionären Bewegung in der Neuzeit gewesen, sei es in der Französischen Revolution das Verlangen nach gleichen bürgerlichen und politischen Rechten, in der Arbeiterbewegung bis Mitte des 20. Jahrhunderts die Aussicht auf eine bessere persönliche Stellung im „Sozialismus“ oder in der kulturrevolutionären Bewegung von 1968 ff., die einen Ausbruch aus einengenden hierarchischen Verhältnissen in Familie, Kultur und Gesellschaft versprach.
Unsere Frage sollte also sein: Was könnte in der jetzigen Konstellation des drohenden langjährigen Patts – sozial-ökologische Transformation vs. Gegenbewegung von rechts – dieses befreiende Moment sein? Durch welche Politiken einer „solidarischen Moderne“, könnte ein solcher Prozess, ein solcher Diskurs der Befreiung von ökonomischer Unsicherheit, unzufriedenstellenden Entfaltungsoptionen und Gefühlen des Abgehängt-Seins ermöglicht werden und Teil der sozial-ökologischen Transformation werden?

* Ulrich Schachtschneider ist ausgebildeter Stahlbetonbauer, Energietechnik-Ingenieur und Sozialwissenschaftler. Er arbeitet als Energieberater und freier Sozialwissenschaftler zu den Themen Energiepolitik, Postwachstumskonzepte, Moderne Gesellschaft und Nachhaltigkeit. Schachtschneider engagiert sich in der BAG Climate Justice der Linkspartei und der Grundeinkommensbewegung.
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