Sozialer Antifaschismus: Ohne Gewerkschaften geht es nicht

Können oder müssen Gewerkschaften Teil einer antifaschistischen Sammlungsbewegung sein?

Können oder müssen Gewerkschaften Teil einer antifaschistischen Sammlungsbewegung sein? Die Antwort lautet dreimal „Ja“!

Im ISM wird aktuelle eine Debatte darüber geführt, ob und wie angesichts der Bedrohungen der demokratischen, ökologischen und ökomischen Lebensbedingungen und der nach rechts verschobenen Kräfteverhältnisse eine Offensive ins Progressive und über die Abwehrkämpfe unserer Zeit hinaus denkbar ist. Dabei stellt sich auch die Frage, ob und wenn ja wie Gewerkschaften Teil einer antifaschistischen Sammlungsbewegung sind, sein müssen, sein können.

Um es vorwegzunehmen: Die Antwort lautet dreimal ja: Erstens sind sie es bereits, weil sie vielfach gegen rechte Tendenzen aktiv sind (1). Sie müssen es zweitens (2) sein, weil sie Menschen erreichen können, die von anderen gesellschaftlichen Akteuren kaum mehr erreicht werden. Und drittens (3): Ja, sie können – ja, müssen – Teil einer gesellschaftlichen „Allianz eines sozialen Antifaschismus“ (Candeias[1]) sein, da sie immer noch die Machtressource von Millionen Mitgliedern besitzen und dieses Gewicht in die Waagschale einer antifaschistischen Allianz werfen können, deren einendes Projekt eine antifaschistische Wirtschaftspolitik sein könnte. 

1. Gewerkschaften sind vielfältig aktiv gegen rechts

Der Kampf gegen Rechtsextremismus ist zu einem zentralen Schwerpunkt der gewerkschaftlichen Arbeit geworden. Sei es im Kampf gegen rechte Listen bei Betriebsratswahlen, in der direkten inhaltlichen und emotionalen Unterstützung von Betriebsräten und Aktiven im Betrieb, in kritischen Situationen oder in Austausch- und Vernetzungstreffen bietet etwa die IG Metall vielerlei Unterstützungsangebote, Argumentationsmaterial und Handreichungen. Schnelle, sprachlich einfache und aktuelle Informationen etwa „Warum die AFD keine Partei für Beschäftigte ist“ erreichen hohe Abrufzahlen und werden gut genutzt. Über eine angemessene und wirksame Kommunikation in sozialen Medien pro Demokratie wird gleichzeitig versucht, vor allem jüngere Mitglieder zu erreichen. Seitens der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit werden u.a. sog. Demokratiekämpfer*innenausbildung angeboten, die betrieblich aktive Kolleg*innen handlungsfähig machen sollen. Des Weiteren haben sich DGB und Einzelgewerkschaften an verschiedenen Bündnissen und Demo-Aufrufen beteiligt, etwa Anfang 2024 nach Bekanntwerden der Correctiv-Recherchen zu Remigrationsplänen der extremen Rechten oder vor der Europawahl.

Immer wieder zeigen Gewerkschaften klare Haltung gegen rechts, bleiben aber dabei nicht stehen, sondern kommunizieren ein eigenes positives Zukunftsbild einer sozial-ökologisch ausgerichteten Wirtschaft, von guter, tariflich geregelter Arbeit und einem solidarischen, zukunftsfesten Sozialstaat, der Sicherheit im Wandel bietet. Sie machen damit Alternativangebote für eine positive Zukunft. Teil dessen ist auch die Sichtbarmachung von Vielfalt als Stärke – sei es in der Gesellschaft insgesamt oder in einer Einwanderungsgewerkschaft wie der IG Metall.

2. Kampf um Köpfe und materielle Lebensbedingungen

Bei der Bundestagswahl haben 38 Prozent der Arbeiter*innen und 29 Prozent der Menschen mit geringer Bildung AfD gewählt. Diese Menschen werden von den Parteien links der Mitte oder sozialen Bewegungen kaum mehr erreicht.1[2]

Gewerkschaften und insbesondere Industriegewerkschaften wie die IG Metall können sie noch eher erreichen als andere gesellschaftliche Akteure, weil viele Produktionsbeschäftigte bzw. Arbeiter*innen und Menschen mit einfachen oder mittleren Qualifikationen bei ihnen organisiert sind, sie im Betrieb und in den Strukturen vor Ort direkt mit den Mitgliedern arbeiten und als Gewerkschaften deutlich mehr Vertrauen genießen als Parteien. Diesen Zugang nutzen Gewerkschaften auf vielfältige Weise und versuchen, den Gesprächsfaden nicht abreißen zu lassen, zeigen zugleich aber klare Haltung gegen Hass und Hetze.

Das ist nicht nur eine Frage der gewerkschaftlichen Grundwerte von Solidarität, Menschenwürde und Respekt für alle, sondern auch der Verantwortung und des Eintretens für die Interessen ihrer vielen Mitglieder mit Migrationshintergrund.2[3]

Gewerkschaften wie die IG Metall führen den Kampf gegen die Rechtsverschiebung und die Bedrohung von sozialen und emanzipatorischen Errungenschaften aber nicht nur um die Köpfe ihrer Mitglieder, sondern auch um deren materielle Lebensbedingungen und Zukunftsperspektiven.

Dass das dringend nötig ist zeigen sowohl die Ergebnisse der Bundestagswahl als auch verschiedene empirischen Studien: Wählende mit schlechter wirtschaftlicher Situation gaben mit Abstand am häufigsten der AfD ihre Stimme und ihr Anteil hat seit 2021 deutlich zugenommen.3[4] AfD-Wählende bezeichnen auch die aktuelle wirtschaftliche Lage in Deutschland insgesamt als deutlich schlechter und empfinden deutlich häufiger, dass es in Deutschland eher ungerecht zugeht als Wählende anderer Parteien. 71 Prozent der AfD-Wählenden geben an, Sorgen vor Altersarmut zu haben.

Auch aus der empirischen Sozialforschung kommen verschiedene Belege dafür, dass Angst vor sozialem Abstieg und Wohlstandsverlusten bzw. Verunsicherung durch die Transformation empfänglich für Rechtsextremismus machen:

So haben mehrere Erhebungen der Hans-Böckler-Stiftung[5] gezeigt, dass Verunsicherungen angesichts gesellschaftlicher Wandlungsprozesse sowie Angst vor Abstieg und Statusverlust die Empfänglichkeit von Beschäftigten für anti-demokratische Einstellungen erhöhen.

Nach einer Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft[6] (iw) erzielt die AfD in Industrieregionen, die von der Transformation in Form von Dekarbonsierung und Digitalisierung betroffen sind, was für viele Beschäftigte mit starker Verunsicherung, wenn nicht gar Bedrohung ihrer beruflichen Existenz einhergeht, die höchsten Ergebnisse.

Kürzlich hat das Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung[7] auch einen Zusammenhang zwischen Mieten und AfD-Sympathie gefunden: Demnach erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass einkommensschwache Mieter*innen in Befragungen die AfD unterstützen, um bis zu vier Prozentpunkte, wenn die durchschnittlichen Mieten in der Nachbarschaft um einen Euro pro Quadratmeter steigen. Dies gelte auch für Menschen, die von den Mieterhöhungen persönlich bislang gar nicht direkt betroffen seien.

Diese Befunde bekräftigen die Analyse von Isabella Weber[8] und die Notwendigkeit einer antifaschistischen Wirtschaftspolitik: Wenn sich die Menschen – gezeichnet von mehreren Jahrzehnten Neoliberalismus – nicht mehr die lebensnotwendigen Güter leisten können, wenn sie unter ökonomischen Krisen, sozialem Abstieg und Wohlstandsverlusten leiden, verlieren sie das Vertrauen in die politisch-soziale Ordnung und wenden sich rechten Parteien zu.

3. Whatever you call it: Antifaschistische Wirtschaftspolitik als gemeinsamer Nenner

Um die Kräfte links der Mitte zu bündeln, wieder hegemoniefähig zu werden und einen Wahlsieg der AfD im Bund 2029 zu verhindern, braucht es eine breite Allianz des sozialen Antifaschismus aus Parteien, Gewerkschaften, NGOs, sozialen Initiativen und Bewegungen. Gewerkschaften müssen selbstverständlich Teil dieser Allianz sein. Denn sie besitzen immer noch die Machtressource von Millionen Mitgliedern4[9] und Zugänge zu den Beschäftigtengruppen, die durch materielle Sorgen und wirtschaftliche Verunsicherung besonders empfänglich für die Botschaften und vermeintlichen Lösungen der AfD sind. Gewerkschaften können immer noch Menschen in Größenordnungen auf die Straße bringen, wenn sie entsprechend mobilisieren, und sie haben einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die Politik. Dieses Gewicht gilt es, in die Waagschale einer antifaschistischen Allianz zu werfen.

Dazu müssen Gewerkschaften in Allianzen eingebunden werden – und sich einbinden lassen. Sie müssen sich auf breite Bündnisse auch mit Partner*innen einlassen, die ihnen vielleicht manchmal zu klein, zu sehr Nische sind, zu radikal erscheinen und nicht glauben, sie könnten alles aus eigener Kraft oder über privilegierte Zugänge zu manchen Parteien lösen. Gerade in einer Regierung, die von einer nicht nur in migrationspolitischen Fragen immer weiter nach rechts rückenden Union geführt wird, dürfte dies nicht weit führen. Um eine weitere Rechtsverschiebung zu verhindern, gilt nicht nur für Parteien, sondern für alle gesellschaftlichen Akteure progressiven Zusammenhalt zu wagen (Beitrag Karoline Otte[10])!

Dieser darf sich jedoch nicht nur auf einen Minimalkonsens der Verteidigung der Demokratie gründen. Denn „Demokratie lässt sich nicht durch Diskussionen über ihre Rettung bewahren. Sie kann nur durch eine Politik gesichert werden, die ein gutes Leben für alle mit wirtschaftlicher Stabilität und Sicherheit gewährleistet.“ (Weber/Scholle 2025).

Ob man das nun Volksfront5[11], sozialen Antifaschismus oder antifaschistische Sammlungsbewegung nennt: Kern einer solchen Politik muss eine „antifaschistische Wirtschaftspolitik“ sein, die „dem realen sozioökonomischen Abstieg und den Abstiegsängsten vieler Menschen eine Lösung anbietet, die ihr Leben besser macht.“ (ebd.)

Eine solche Wirtschaftspolitik beinhaltet laut Weber/Scholle eine Reihe von staatsintervenierenden Maßnahmen – wie Preisdeckel für Energie, Miete und Lebensmittel, Reform der Schuldenbremse, Übergewinnsteuer, Vermögenssteuer, gerechte Lohn- und grüne Industriepolitik, usw. – die Bedürfnisse und Sorgen der breiten Bevölkerung adressieren und für einen wirtschaftspolitischen Katastrophenschutz in Krisenzeiten, eine stärkere Umverteilung und soziale Sicherheit sorgen. Es geht bei ihr aber auch zentral darum, der AfD das Monopol über Alternativen zum Status Quo zu nehmen, Sorgen und Nöte ernst zu nehmen und klare, gangbare Auswege aufzuzeigen, die eine bessere Zukunft vorstellbar machen – das Ganze in verständlicher Ansprache und auf Augenhöhe.

Eine antifaschistische Wirtschaftspolitik in diesem Sinne könnte ein bündnisfähiges und einendes Projekt sein, hinter dem sich viele Akteur*innen aus einem breiten gesellschaftspolitischen Spektrum versammeln könnten. Lasst uns ein solches Projekt in den Mittelpunkt des Kampfes um unsere Demokratie stellen!

1 Auch Gewerkschaftsmitglieder haben mit 21,8 Prozent leicht überproportional AfD gewählt, was hauptsächlich ein Korrelat anderer sozio-demografischer Faktoren wie Berufsstatus und Bildung sein dürfte.

2 Allein in der IG Metall sind mehr als 500.000 Menschen mit Migrationshintergrund organisiert.

3 Geführt wird die Sorgenliste allerdings von der Sorge, „dass zu viele Fremde nach Deutschland kommen“ (s. ARD-Wahlanalysen zur Bundestagswahl 2025).

4 Die Mitgliedsgewerkschaften des DGB verzeichneten 2024 5,6 Mio. Mitglieder, die IG Metall 2,1 Mio.

5 Dieser Begriff mag in Frankreich funktionieren, für Deutschland halte ich ihn für geschichtlich verbrannt und zu stark von rechts vereinnahmt, als dass er eine positive Umdeutung erfahren könnte.

Links:

  1. https://www.solidarische-moderne.de/de/article/726.allianz-eines-sozialen-antifaschismus-kein-kartell-der-parteien.html
  2. https://www.solidarische-moderne.de#sdfootnote1sym
  3. https://www.solidarische-moderne.de#sdfootnote2sym
  4. https://www.solidarische-moderne.de#sdfootnote3sym
  5. https://www.boeckler.de/de/faust-detail.htm?sync_id=HBS-008256
  6. https://www.iwkoeln.de/fileadmin/user_upload/Studien/Kurzberichte/PDF/2023/IW-Kurzbericht_2023-AfD-Transformation.pdf
  7. https://www.fundresearch.de/nachrichten/2025/01/wahl-2025-studie-sieht-zusammenhang-zwischen-mieten-und-afd-sympathie-487121.php#:~:text=Bei Mietern mit niedrigen Einkommen wächst laut einer,wenn die Mietpreise in ihrem städtischen Wohngebiet ansteigen.
  8. https://www.surplusmagazin.de/weber-antifaschistische-wirtschaftspolitik-wahl/
  9. https://www.solidarische-moderne.de#sdfootnote4sym
  10. https://www.solidarische-moderne.de/de/article/728.faschismus-verhindern-progressiven-zusammenhalt-wagen.html
  11. https://www.solidarische-moderne.de#sdfootnote5sym