- Stephan Hebel
Verteidigen, was wir kritisieren, und kritisieren, was wir verteidigen
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Die folgenden Anmerkungen sind als mögliche Präzisierung einiger Aussagen in den „Thesen zur Lage nach der Bundestagswahl“[1] gedacht. Sie erfolgen aus einer Position grundsätzlicher Zustimmung zu diesen Aussagen.
Erstens:
In den Thesen heißt es treffend, der Abschied von der Orientierung an Menschenrechten und Völkerrecht sei „keine Kleinigkeit, sondern – man muss es gegen die Liberalismusverachtung von rechts und links so klar sagen – ein Unterschied ums Ganze“.
Hier wäre – gerade um die treffende Kritik an der „Liberalismusverachtung von links“ stark zu machen – eine Präzisierung im folgenden Sinne vorzuschlagen:
Auf der politischen Rechten gehört Liberalismusverachtung zum ideologischen Kernbestand, sie ist notwendiger Bestandteil eines Weltbildes, das auf im Wortsinn „geschlossenen Gesellschaften“, also dem Ausschluss „des Anderen“ in seinen unterschiedlichen Formen, beruht.
Gerade weil das so ist, kann es eine „Liberalismusverachtung von links“ im Grunde gar nicht geben. Jedenfalls nicht, wenn man unter „links“ einen umfassenden emanzipatorischen Anspruch versteht, der sich weder ausschließlich auf die altbekannte Klassenfrage bezieht noch an nationalen Grenzen Halt macht, sondern sich gegen jegliche Benachteiligung und Diskriminierung wendet, egal, ob sie Niedriglohn-Beziehende, queere Personen oder Geflüchtete betrifft. Einen Anspruch der – anders als Teile der aktivistischen „Linken“ – auch Andersdenkenden alle Menschenrechte zugesteht. Es wäre also hilfreich, deutlich zu machen, dass sich die Kritik an der Liberalismusverachtung auch auf diejenigen bezieht, die sich selbst für „links“ erklären, aber ihren emanzipatorischen Anspruch begrenzen, sei es auf den „deutschen Arbeiter“ oder ein wie auch immer geartetes „revolutionäres Subjekt“. In Kurzform könnte der Einschub dann „…gegen die Liberalismusverachtung bei Rechten und selbsternannten Linken“ heißen.
Zweitens
Im Text ist ganz im Sinne umfassender Emanzipation von denjenigen die Rede, „die an den verschiedenen Orten in der Welt gegen Herrschaft, Ungerechtigkeit und die Zerstörung ihrer demokratischen, ökologischen und ökonomischen Lebensbedingungen aufbegehren“. Hier wäre ergänzend hinzuzufügen, dass die Bedingungen, gegen die da aufbegehrt wird, nicht zuletzt als Folgen eben jener politisch-ökonomischen Weltordnung zu verstehen sind, deren Bedrohung durch Putin, Xi, Trump und andere wir jetzt zu beklagen haben. Hier sind wir an dem für die „Zukunftslinke“ vielleicht kompliziertesten Punkt: Wir werden nicht umhinkommen, eben jene Verhältnisse gegen den Autoritarismus zu verteidigen, die wir seit Jahren mit guten Gründen angeprangert haben. Kurz gesagt: Wir müssen verteidigen, was wir kritisieren, und kritisieren, was wir verteidigen.
Drittens
Daraus folgend stellt sich die Bündnisfrage. Im Text ist von einem „übergreifenden“ antifaschistischen Bündnis „ohne parteipolitische Beschränkungen“ die Rede, „das selbst für demokratische Konservative und klassische Liberale anschlussfähig ist“. Ein derart breiter Zusammenschluss ist sicher notwendig, wenn es darum geht, gegen autoritäre und faschistische Entwicklungen auf die Straße zu gehen. Dennoch stellt sich die Frage, mit wem aus den hier genannten Spektren wir über die notwendige Verteidigung grundlegender demokratischer Normen hinaus das „Jahrhundertprojekt des notwendigen Umbaus von Wirtschaft und Gesellschaft im Rahmen von Rechtsstaat und Demokratie“ (Thesen) angehen können. So verfehlt es wäre, das Potenzial für ein antifaschistisches Reformbündnis nur in den knapp neun Prozent Wählerstimmen für die Linkspartei zu sehen, so riskant erschiene es doch im Angesicht des jüngsten Wahlergebnisses und des daraus hervorgegangenen schwarz-roten Regierungsprogramms, dieses Potenzial zu überschätzen. Das Ringen um eine mehrheitsfähige Zukunftslinke hat sicher nur dann eine Chance, wenn es auf einer realistischen Einschätzung ihrer aktuellen Minderheitsposition basiert.
Stephan Hebel ist Journalist, Autor und war viele Jahre Redakteur und Ressortleiter der „Frankfurter Rundschau"
Links:
- https://aktion.solidarische-moderne.de/wp-content/uploads/2025/03/Thesen-zur-Lage-nach-der-Bundestagswahl_VorbereitungsAG_ISM.pdf